Was machen eigentlich die Turner vom TVL?
Eine oft gestellte Frage vor dem Hintergrund einer einst erfolgreichen TV-Turner-Zeit in der ersten Bundesliga (1970). Wer sich erinnert, möchte immer wieder wissen, wie es heute steht.
Zur Situation des Kunstturnens
Leistungsturner des TV trainieren heute gut 10 Stunden in der Woche, dass ist etwa so viel, wie Langener Turner damals für die Bundesliga trainiert haben. Einige Übungen am Boden und am Sprung (jetzt am Sprungtisch) sind heute von höherer Qualität, sie hätten damals ganz sicher für Aufsehen gesorgt. Was sind diese Übungen aber heute im Vergleich mit der Leistungspitze wert? Heute trainieren 10-jährige Turner/Innen in deutschen und internationalen Leistungszentren doppelt so lang wie wir Aktiven damals, 14-16-jährige kommen auf 5-6 Stunden täglichen Übens! Das ist die eine Erklärung für die Distanz zur Spitze, die übrigens in Deutschland sehr dünn ist. Die zweite Erklärung findet man in der Ausstattung der Hochleistungszentren. Phantasien von ideal eingerichteten Turnhallen, die wir damals untereinander austauschten, sind heute von der Realität längst weit übertroffen. Tiefe mit Schaumstoff gefüllte Gruben in riesigen Dimensionen sind die wichtigste Grundlage, es folgen aufwändige Trampolinausstattungen, im Boden ebenerdig eingelassen oder als Tumblinbahn über 15m lang mit Einmündung in eine Schaumstoffgrube (die Turner nennen sie auch Schnitzelgrube). Natürlich stehen von jedem Gerätetyp gleich mehrere nebeneinander, Wartezeiten gibt es nicht. Für viele Geräte gibt es außerdem alle erdenklichen Trainingshilfen für Anfänger und Fortgeschrittene. Kurzum, eine vernünftige (weil zeitgemäße) Ausstattung einer solchen Halle stellt ein finanzielles Volumen in Millionenhöhe dar, alleine die obligatorischen zwei Bodenflächen ohne Zusatzausstattung (Spiegel…) summieren sich auf etwa 75.000 Euro. Wie wichtig das alles ist, zeigt die Steigerung der Langener Turner am Sprung, am Boden und am Minitrampolin, denn genau das sind die Disziplinen, für die wir im Frankfurter Leistungszentrum zwei Stunden wöchentliche Hallenzeit gemietet haben (für die jeder Turner 100 Euro im Jahr aus eigener Tasche zahlt). So können akrobatische Übungsteile trainiert werden, die in unserer Halle höchstens gesundheitliches Risiko bedeuten würden. Für eine entsprechende Steigerung an den anderen Geräten bleibt keine Zeit, hier müssen wir uns mit den Gegebenheiten unserer alten Halle arrangieren. Im Schwimmsport wäre es etwa der Unterschied zwischen einem 50m-Trainingsbecken und einem 3m-Swimmingpool im Garten. Ein Vergleich mit Disziplinen, in denen technische Ausstattung kaum eine Rolle spielen, verbietet sich also ganz und gar. Wie in keiner anderen Sportart hat es eine Abspaltung eines schmalen Hochleistungsbereiches von der breiten Gemeinschaft der Sportler gegeben, die Spitze ist uneinholbar (!) enteilt. Als ich das Training der älteren Jungs im TV übernahm, musste die Zielvorgabe also eher nüchtern kalkulierend sein. Turnen auf realistischer Leistungsebene mit dem Anspruch auf eine solide und saubere Turntechnik ohne die Gesundheit zu gefährden. Akrobatische Übungen, die nur im Hochleistungszentren zu automatisieren – un damit gesundheitlich unbedenklich sind, habe ich grundsätzlich untersagt. Dieses Verbot markiert angesichts eines schweren Unfalls im November letzten Jahres die Grenzen des Verantwortbaren deutlicher denn je. Wer aber bereit ist, einen Sport zu betreiben, dessen Leistungsspitze in so weite, ja unerreichbare Ferne gerückt ist, den er pro Tag sechs Stunden betreiben müsste, wollte er annähernd zur Spitze gehören? Die meisten müssen sich aus Zeitgründen mit einem ordentlichen Mittelmaß begnügen, denn im Gegensatz zu jeder Ballsportart gilt bei ihnen „Der Weg ist das Ziel“, und immer noch macht eine Riesenfelge am Reck süchtig, ohne dass daraus auch nur das geringste Drogenproblem entsteht.